Wettbewerbsrecht | Verhandlungstermin am 12. Feb. 2015
In den zur Verhandlung anstehenden Parallelverfahren hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die Frage zu entscheiden, ob das Angebot von Glücksspielen und Sportwetten im Internet nach einer Neuregelung des Glückspielrechtes auch mit Blick auf das Unionsrecht als wettbewerbswidrig anzusehen sind.
Die Beklagte bietet im Internet Glücksspiele und Sportwetten an. Die Klägerin im Verfahren I ZR 171/10, die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unterlassungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Im Verfahren I ZR 4/12 wird die Beklagte von der Bremer Toto und Lotto GmbH auf Unterlassung in Anspruch genommen. Auch diese Klage hatte in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelte die Beklagte bis zum 31. Dezember 2011 wettbewerbswidrig, weil sie gegen die Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag 2008 (GlüStV 2008) verstieß (vgl. BGH, Urt. v. 28.9.2011 – I ZR 92/09, GRUR 2012, 193 – Sportwetten im Internet II). Nach Rechtsänderungen stellt sich die Frage, ob das deutsche Glücksspielrecht noch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist.
In der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 08. Februar 2013 galt in Schleswig-Holstein ein liberalisiertes Glücksspielrecht. Danach waren Vertrieb und Werbung für Glücksspiele im Internet grundsätzlich zulässig; unter bestimmten objektiven Voraussetzungen war die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten jedem Antragsteller aus der EU zu erteilen. Nach dem in den übrigen Bundesländern seit dem 1. Juli 2012 geltenden neuen Glücksspielstaatsvertrag (1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag GlüStV 2012), der weiterhin Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiel im Internet enthält, kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken demgegenüber unter bestimmten Voraussetzungen zwar erlaubt werden. Auf die Erlaubniserteilung besteht jedoch kein Rechtsanspruch. Diesem Vertrag ist Schleswig-Holstein erst mit Wirkung zum 09. Februar 2013 beigetreten, wobei unter der Geltung des liberalisierten Glücksspielrechtes in Schleswig-Holstein erteilte Genehmigungen für das Angebot von Glücksspielen im Internet, auch nach dem Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV 2012 während einer Übergangszeit weiter gelten.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind Beschränkungen der Glücksspieltätigkeit nur dann mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn ihre Eignung, legitime Allgemeininteressen zu verfolgen, nicht durch Ausnahmen und Einschränkungen beseitigt wird (Kohärenzgebot). Die – vorübergehende – Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein könnte die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen erheblich beeinträchtigen mit der möglichen Folge, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im Internet für Glücksspiele in den übrigen Bundesländern wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sind.
Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Verfahren I ZR 171/10 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vorgelegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 12/2013). Das Verfahren I ZR 4/12 hat er bis zur Entscheidung über den Vorlagebeschluss ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefragen dahin beantwortet, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen sei, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grundsätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaaten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt. Ob dies der Fall ist, sei durch das das vorlegende Gericht zu prüfen.
Mit ihren Revisionen erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klagen.
(Verhandlungstermin: 6. November 2014)
I ZR 171/10 (digibet)
LG Köln – Urteil vom 22. Oktober 2009 – 31 O 552/08
BeckRS 2010, 05174
OLG Köln – Urteil vom 3. September 2010 – 6 U 196/09
BeckRS 2011, 01038
BGH – Beschluss vom 24. Januar 2013 – I ZR 171/10
GRUR 2013, 527 = WRP 2013, 515 – digibet
EuGH – Urteil vom 12. Juni 2014 – C-156/13
BeckRS 2014, 80976
und
I ZR 4/12
LG Bremen, Urteil vom 11. November 2010 – 12 O 399/09
BeckRS 2011, 09644
OLG Bremen – Urteil vom 9. Dezember 2012 – 2 U 149/10
BeckRS 2013, 05573
BGH – Beschluss vom 13. März 2013 – I ZR 4/12
BeckRS 2013, 05545
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Pressemitteilung Nr. 007/2015 vom 19.01.2015